Die Gosauumrundung startet endlich

Nach einem wahren Nervenkrimi, ist es am 21. März 2019 endlich soweit. Christoph und ich können die Gosauumrundung starten. Am Mittwoch um 00:00 Uhr werden die Tourenski im Pass Gschütt angeschnallt und für eine lange Zeit nicht mehr abgeschnallt. Wie lange das Abenteuer dauern wird, was uns alles passiert, welche Gefühle uns überkommen werden, all dass wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Einzige was uns interessiert, ist der nächste Schritt.

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Es ist schon ein unglaublich beeindruckendes Gefühl, wenn man eine Skitour startet, bei der man weiß, dass sie sehr lange dauern wird, dennoch ändert das nichts an den eigenen Befindlichkeiten. Die ersten Schritte mit dem ganz leichten Tourenmaterial, bereiten mir Probleme, weil ich immer wieder wortstark abrutsche und irgendwann höre ich von meinem Kollegen den Satz "Jetz sei doch koa so Diva!"
Ich musste es auf mir sitzen lassen, denn zu diesem Zeitpunkt bin ich wirklich eine.

1:15 Uhr
Eine Stunde nach unserem Start erreichen wir bereits den Hornspitz. Der Vollmond erstrahlt in voller Stärke und erhellt die umliegende Landschaft, sodass wir bald einmal die Stirnlampen abschalten um Batterie zu sparen. Beim Weitergehen in Richtung Zwieselalm schauen wir immer wieder auf die andere Talseite, genau wissend, dass jeder Schritt hin zum Dachstein, später wieder zurück gegangen werden muss.

Zu allem Überfluss müssen wir dann noch von der Gosaumühle retour, in das Gosautal rein gehen. Aber dieses Gedankenspiel verdrängen wir so schnell es geht, denn so wirklich lustig ist es nicht.

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2:15 Uhr
Früher als gedacht, kommen wir bei unserem Depot in der Breininghütte an. Alles ist Still, nur das herumkramen in unseren Rucksäcken ist zu hören. "Wie viel Iso-Wasser nimmst du mit?"
"Brauchen wir die Ersatzfelle?"
"Magst du noch einen Riegel?"

Die Themen, die uns schon seit ein paar Stunden beschäftigen sind immer die Gleichen, dennoch werden wir nicht müde darüber zu sprechen. Nach dem kurzen Stop beim Depot, geht es flott weiter.

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03:40 Uhr
Der Weiterweg führte uns durch das Sulzenkar und Schlussendlich zur östlichen Strichkogelrinne. Leider ist am Vortag eine große Nassschneelawine abgegangen und hat die gesamte Rinne vom schönen Pulverschnee befreit. Die gesamte Abfahrt ist nicht unbedingt angenehm und leider ändert sich das auch später nicht. Lawinenknollen wohin das Auge reicht und das Weiterkommen wird zur Tortur.

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06:00 Uhr
Endlich ist der Einstieg in die steile nordöstliche Großwandrinne erreicht. Die Ski werden gegen Eisgerät, Seil und Steigeisen getauscht. In teils felsdurchsetzten Gelände erreichen wir den Mittelteil der Steilrinne die teilweise 45° und mehr beträgt. Unsere Gesichter strahlen, weil wir stetig voran kommen und schlussendlich den traumhaften Gipfel erreichen. Leider drängt uns die Sonne zur Eile und wir klettern rasch die Ostwand ein paar Meter ab um in eine kleine Scharte zu gelangen. Die Abfahrt ins Obere Armkar ist ein Traum.

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09:00 Uhr
Wir treffen zwei Freunde (Nazla Thom und Marco) die uns mit Essen und Trinken empfangen. Kartoffelröster und Cola lassen die Oberschenkelmuskeln wieder auftanken und nach kurzer Zeit geht es den Steigelpass runter und weiter zum Reisgang und dem Hochkesseleck.

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11:00 Uhr
Sicherlich nicht minder anspruchsvoll gestaltet sich der Anstieg in die Reisgangscharte und der Weiterweg zum Hochkesseleck. Teils stark vereister Schnee, gekrönt mit grundlosem Nassschnee, der uns einige Male die Route ändern lässt um nicht etwas auszulösen, was ein unkalkulierbares Problem werden könnte.
Um ca. 11:00 Uhr erblicken wir das erste mal den Gosaugletscher, tief verschneit mit einigen Abfahrtsspuren. Ein genialer Moment, wenngleich die bevorstehende Querung nicht ganz ohne ist. Ein kurzes Telefonat mit Heli, welcher bereits in der Nähe von der Adamek wartet, bringt uns die benötigte Info bezüglich Sonneneinstrahlung in den Hang. Mit zwei sanften Schwüngen, fetzen wir den aufgeweichten Hang hinunter, vorbei an den Eiskarlspitzen immer weiter in Richtung Schneebergwand.

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12:35 Uhr
Die Uhr zeigt bereits nach 12:35 Uhr Mittag an, als wir bei der Abzweigung in die Niedere Winklucke vorbei gehen. Schön langsam spüren wir die ersten 12 Stunden Gehzeit. Der eisige Wind macht es nicht besser und bremst uns weiter. Der Westgrat auf den Hohen Dachstein mag einfach erscheinen, jedoch darf man ihn nicht unterschätzen. Ein falscher Schritt und ein Eintrag in der örtlichen Zeitung ist einem sicher.

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14:08 Uhr
Es ist windig und die umstehenden Leute schauen uns etwas erschrocken an, als wir auftauchen und uns mehr oder weniger zum Kreuz drängeln. "Seid ihr die Zwei?" lautet eine Frage, worauf wir einfach einmal "JA" sagen. Für viel Erklären bleibt keine Zeit, denn der Magen hängt uns bereits in den Kniekehlen und wir wollen endlich aus den nassen Sachen raus. Beim Abstieg zur Randkluft erkläre ich einem Fremden, was wir bereits gemacht haben und wohin wir noch wollen. Er lacht ein wenig und wünsch uns das Beste.

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14:30 Uhr
Endlich etwas warmes zwischen den Zähnen. "Wir hätten gern 4 Käsekrainer, zwei Käsebrote und zwei Gulaschsuppen, einen warmen Hollundersaft und einen Kaffe - Danke". Als Wiff, der Wirt von der Seethalerhütte, die Bestellung bringt und auf den Tisch stellt und wir zu essen beginnen, grinst er nur noch, denn ihm wird klar, dass das ganze Essen, nur für uns zwei angedacht ist. Bis auf eine Käsekrainer, welche dann von Horst und Anja gegessen wird, verputzen wir alles was auf dem Tisch war.

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17:00 bis 15:00 Uhr
Die Sonne neigt sich und der Himmel beginnt sein Farbenspiel. Die Abfahrt vom Hohen Trog im goldgelben Schnee ist der Megahammer. Wäre dieser Hang doch endlos lange, wir würden uns keine Sekunde beschweren, aber es ist auch die weitere Gehstrecke traumhaft schön. Am Bärwurzkogel gipfelt der Sonnenuntergang und leutet die Nacht ein. Die genialen Pulverschwünge in die Kogelgasse spüren wir mehr, als dass wir sie sehen, denn die Nacht ist schneller da, als gedacht.

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20:10 Uhr
Im Almgebiet vom Plankenstein erwartet uns eine Überraschung. Karl und Andi empfangen uns mit Schoki, Eistee und guter Laune. Es tut gut ein paar Worte zu wechseln und es freut uns so richtig, dass sie die Mühen auf sich genommen haben, um uns zu treffen. Leider können wir nicht lange bleiben, denn wir wollen weiterkommen um die nächste geplante Labestation in der Kartsube zu erreichen. Zu dumm, dass der Plassen dazwischen ist.

21:30 Uhr
Wirklich traurig sind wir über die Tatsache nicht, dass wir auf den Plassen rauf müssen, denn wir freuen uns auf die schöne Westrinne, die wir bei der Erkundungstour bereits befahren hatten. Die Querung in das Plassenkar begrüßt uns mit einem altbekannten Feind - die Lawinenbrocken. Wie schon im Gosaukamm, haben auch hier die steilen Rinnen ihre Schneelast abgeworfen und erschweren uns nun das Leben. Aber alles hat ein Ende und so kämpfen wir uns durch und erreichen um kurz von 23 Uhr den Gipfel.

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23:00 Uhr
Kalte Nächte sind toll, denn sie lassen den feuchten Schnee gefrieren und stabil werden. Ein nicht unwesentlicher Nachteil: Steile Flanken werden noch anspruchsvoller und verzeihen keine Fehler. Die Abfahrt über den Sommerweg in Richtung Karstube wird nur noch abgerutscht. Keine einzige Kurve wagen wir, denn der Vollmond hat sich hinter dem Plassen versteckt und wirft einen dunklen Schatten, somit sehen wir nur unseren kleinen Lichtkegel von den Stirnlampen. Gefühlt direkt unter uns, sehen wir bereits die Hütte wo wir hin wollen. Es trennen uns "nur" 600 Höhenmeter, wo nichts schief gehen darf.

23:30 Uhr
Das Holzknistern im Ofen und das Siedegereusch vom Wasser, lassen uns entspannen. Brot, Wurst, Käse und Paprika schmecken ungewöhnlich lecker. Wir sitzen in der geheitzten Karstube. Stef und Flo leisten uns Gesellschaft. Leider sind wir nicht wirklich gesprächig, denn beide denken wir bereits über den bevorstehenden Abstieg über das extrem steile Gosaueck nach. Eine halbe Stunde später, brechen wir bereits wieder auf, aber der kurze Zwischenstop tat unglaublich gut.

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01:00 Uhr
Wir sind nun seit 25 Stunden unterwegs und bereiten uns gerade für den komplexesten und vielleicht sogar gefährlichsten Abstieg vor. Zwei Mal sind wir bereits vom Gosaueck runter in die Gosaumühle abgestiegen, und jedes mal war es eine Herausforderung. Die Tatsache, dass es nun stockfinster ist, erleichtert das Vorhaben nicht. Ein kurzer Anruf beim familiären Versorgungstrup leutet gleichzeitig den Abstieg ein.

02:00 Uhr
Die ersten 400 Höhenmeter sind geschafft. Hinter uns liegen das Abseilen über Bäume und langsame Skiabfahrten durch sehr selektives Gelände. Nun ist die Schneedecke so dünn, dass wir auf Turnschuhe umsteigen.

02:45 Uhr
"Wo sind wir? Ich kenn mich nicht mehr aus. Es schaut alles gleich aus" Als ich mich diese Worte sagen höre, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Christoph schaut mich an und meint nur, dass uns der vorbereitete GPS-Track weiterhelfen wird. Tja, bei einer Genauigkeit von +/- 3m, der Tatsache das die Felsrampen auf welchen wir queren nicht breiter sind als 2m und die Absätze teilweise 10m hoch sind, bringen uns an den Rand unserer mentalen Kräfte.
"Jetzt gib endlich das Seil her. Wir seilen hier einfach ab." Irgendwann gebe ich nach und überreiche das Seil an Christoph.

04:00 Uhr
Eine Stunde später als geplant kommen wir endlich in der Gosaumühle an. Der Abstieg hat viel Energie gekostet. Unser Supportteam bestehend aus Irene, Horst, Elisabeth, Carina, Bernhard und unserem Kameramann Tschisi, begrüßt uns mit Tee, Essen und viel Zuspruch. Beide setzen wir uns in den vorgeheizten Bus und können nicht mehr viel sagen. Wir essen ein wenig Suppe, etwas Süßes und bereiten uns dann für den Weitermarsch vor. Der Gedanke ist grausig, dass uns nun mehr als 1.500 Höhenmeter erwarten.

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07:00 Uhr
Nach fast 2 Stunden beschließen wir die Skier anzuschnallen. Die Schneefelder erscheinen uns endlich groß genug, doch wir irren uns. Eine weitere halbe Stunde ziehen wir die Skier immer wieder aus und an. Es nervt uns zwar, aber wir sind auch schon zu müde um darüber zu jammern.
Plötzlich überschreite ich eine Kante und kann unser Glück kaum fassen. Endlich eine geschlossene Schneedecke soweit das Auge reicht.
"Kim aufa, do gehts jetz fesch dahin" und so ist es auch. Mit jedem Meter werden wir wieder wacher und motivierter.

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08:44 Uhr
Wir stehen am Löckerkogel und sehen das erste Mal den Niederen Kalmberg - unserem finalen Gipfel wo die technischen Schwierigkeiten enden. Die folgenden Gipfel Elfer und Zwölfer sind wahre Gusterstückerl. Wie wenn es keine Probleme mehr geben würde, gehen wir befreit in Richtung Tiefe Scharte. Das Gelände wird wieder steiler, doch der Schnee hält traumhaft gut und so können wir unsere Spitzkehren, eine um die Andere abspulen und stehen schlussendlich vor dem Gipfelgrat vom Niederen Kalmberg, am Brenntenkogel.

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10:40 Uhr
Ski auf den Rucksack und die Leichtsteigeisen angezogen. Schritt für Schritt spuren wir uns den Weg. Teilweise ist der Schnee schon sehr weich und wir versinken bis zu den Hüften, doch nichts kann uns mehr bremsen. Unglaubliche Kraft ist plötzlich wieder in den Beinen und so erreichen wir relativ rasch den Gipfel.

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11:51 Uhr
Eilig verstauen wir die Steigeisen und schnallen die Ski an, denn jetzt wollen wir endlich zum Rußberg gelangen. Der Gipfel vom Hohen Kalmberg ist bald erreicht. Ering Thom wartet bereits seit einigen Stunden, und überreich jeden von uns einen alkoholfreien Iso-Radler. Ich hätte mir nie gedacht, dass dieses Getränk so gut schmecken kann. Fast auf Ex fließt das kühle Nasse in unsere Mägen. Leider können wir nicht lange bleiben, denn beide spüren wir, dass unser Körper schön langsam genug hat und abschaltet.

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14:22 Uhr
Ich knippse ein Foto, und verfasse eine WhatsApp mit dem Text: "Waaaaaahhhhnnnnsiiiiinnn wir habens auf den letzten Gipfel geschafft" Dieses Gefühl hier zu stehen war unbeschreiblich. Keiner sagte etwas. Wir schauten nur noch in die Runde und konnten es nicht fassen, was wir geschafft hatten. Die Uhr zeigte über 7.000 Höhenmeter und mehr als 80 Kilometer an - was für eine Strecke.
Fast zeitgleich standen Christoph und ich wieder auf um die finale Abfahrt ins Pass Gschütt in Angriff zu nehmen.
Der schlechte Schnee und die vielen abgebrochen Bäume, die im Wald lagen, konnten uns nicht mehr bremsen - nun ging es wirklich dem Ziel entgegen.

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In uns lief kein Film ab, wo wir das Erlebte wieder sahen. In uns war es still. Wir waren vollauf zufrieden. Es war die befreienste Abfahrt unseres Lebens.
Um Punkt 15 Uhr erreichten wir unseren Ausgangspunkt, welchen wir vor 39 Stunden verlassen hatten und der Empfang war riesig. Alle unsere Helfer, sogar einige Freunde welche die Tour verfolgt hatten, waren gekommen um uns zu begrüßen und zu gratulieren.

Das war der schönste Moment dieser Tour, wenngleich auch einige beeindruckende Situationen hinter uns lagen.